Runde 1
Wer um 4 Uhr in der Früh aufsteht, um mit dem Zug nach Salzburg zu fahren, muss ein wahrer Fan des Schachsports sein. Wer dann noch 400 Kilometer zu einem Schachturnier fährt, bei dem er als Nummer 250 gesetzt ist, ist wahrscheinlich in seiner Jugend einmal falsch abgebogen. Zumal es in Deizisau ein besonders fieses System für Spieler wie uns gibt, denn wenn du schlecht spielst, musst du in Halle 2 spielen - wir nennen sie gemeinhin die Hall of Shame. Nach den beiden gestrigen Partien befanden wir uns heute - genau eben dort. Aber wie kam es dazu?
Wenn ein Spieler im Alter von 18 Jahren mit circa 2400 ELO durchs Land läuft, dann sagt das schon etwas über die schachliche Stärke dieser Person aus. Wenn selbige Person dann auch noch die Deutsche Meisterschaft gewinnt, mag mancher das als zusätzliches Indiz für gehobene schachliche Fähigkeiten werten. Wenn sich diese Person dann in Runde eins dir gegenüber ans Schachbrett setzt, könnte ein ängstlicher Gegner schon ein leichtes Vibrato in den Händen spüren. Nicht so Manfred Theussl (mit Schwarz), der dem Deutschen Meister Nicolas Huschenbeth auf Brett 43 mit einem selbstbewussten Lächeln vor Beginn zum Titelgewinn gratulierte - und dabei im Geiste schon die Schlagzeilen des nächsten Tages formulierte: "Junges, gut aussehendes Schachtalent aus Österreich entzaubert Deutschen Meister in Runde 1". Um diese Aussage Realität werden zu lassen, opferte Manfred im "Franzosen" eine Springer auf b4 für 2 bedrohlich aussehende Bauern. Um diese Aussage Lügen zu strafen, blockierte Huschenbeth die Bauern, degradierte sie zu Statisten am falschen Flügel und attackierte im Anschluss den schwarzen Monarchen. Es gibt zwei wichtige Momente in der Partie gegen einen prominenten Gegner: 1. den Gewinnzug finden, 2. den richtigen Zeitpunkt zur Aufgabe finden. Zumindest 2. hat Manfred auf den Punkt getroffen.
Wenige Bretter weiter spielte Werner Lamberger (mit Schwarz) gegen den 19 jährigen Hamburger Jonathan Carlstedt (ELO 2346). Werner konnte seinen geliebten Holländer auf's Brett zaubern und ohne Furcht spielte er exakt in dem Moment d5, als Carlstedt genau diesen Zug verhindert zu haben glaubte. Werner fand einen Zwischenzug, der ihm eine ausgezeichnete Stellung sicherte. Entgegen seiner früheren Präferenz bot Werner diesmal nicht Remis, sondern strebte den vollen Punktgewinn an. Wie die Analysen nach der Partie zeigten, währte dieses Streben nur einen Zug lang. Danach spielte zwar Werner weiterhin im festen Glauben an eine Angriffspartie - Carlstedt seinerseits wusste jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt, dass es nur mehr ein paar Züge exakter Technik bedurfte, um aus einem Angriffswirbel eine Baustelle zu machen, gegen die sich eine Komplettsanierung der Westautobahn lächerlich ausnimmt. Oder um es mit anderen Worten zu sagen - Werner hat auch den zweiten wichtigen Moment in seiner Schachpartie übersehen.
Da wir uns bereits auf der Anreise nach Deizisau in München für die abzusehenden, kommenden Heldentaten belohnt hatten (Stichwort Hugendubel, Obletter, Bohne&Malz), war das Fehlen eines Buchhändlers am ersten Turniertag kein wirklich großes Problem. Die Pizzeria neben dem Turnierlokal betreibt seine warme Küche nach wie vor bis 23 Uhr - bei unverändert ausgezeichneter Qualität. Das Hotel, in dem wir residieren, bietet alle Annehmlichkeiten. So fehlten uns am ersten Turniertag doch tatsächlich nur zwei lächerliche Punkte zum vollendeten Schachglück.
Runde 2
Dank modernster Technik am Zimmer (gratis WLAN!) kannte die Uttendorfer Armada ihre Gegner für Runde 2 schon vor dem Frühstück. Ein kurzer Blick in die Untiefen Chessbase'scher Historie hatte gezeigt, dass wir dem Unternehmen "Zurück in die Halle der Spitzenspieler" mit gesundem Optimismus entgegensehen konnten.
Manfred Theussl (mit Weiß) erhielt mit Stefan Reitzler einen nicht unerfahrenen, aber der Papierform nach bezwingbaren Gegner zugelost. Was als Evansgambit mit einem Angriffsfurioso, Matt in maximal 25 Zügen und, nach kurzer, charmanter Analyse, grenzenlosem Jubel hätte enden sollen, entpuppte sich nach 4 Zügen als unbeschreiblich trockene spanische Abtauschvariante, ein schwacher Bauer auf e4 (O-Ton Manfred: f4 ist einfach falsch) und reflexartiges Händeschütteln, als Reitzler in wahrscheinlich sehr vorteilhafter Stellung, Remis anbot. Es wird ein weiter und beschwerlicher Weg für Manfred, um aus der Hall of Shame wieder dorthin zu kommen, wo die Sonne immer scheint - in den großen Turniersaal.
Angriff ohne Kompromisse war das Programm, dass Werner Lamberger (mit Weiß) seinem Gegner Heiner Papa (ELO 1872) vorsetzte. Papa wusste zwar die Rochade geschickt zu verzögern, bis Werner die Altersresidenz des eigenen Monarchen ausgewählt hatte (es war die kurze Rochade, mit der Werner hinterlistig "doch kein Königsangriff" flötete). Doch das Unheil am Königsflügel kam dann halt in Form von zwei Springern, die sich aufopfernd auf f5 niederließen. In einem Gewirr aus Matt- und sonstigen Drohungen verlor Papa erst einen Bauern, dann den Faden und schließlich die Dame. Derart unterbesetzt machte es dem scharzen Ensemble keinen Spass mehr und Papa gratulierte Werner zum Sieg.
Der Buchhändler ist mittlerweile in Deizisau eingetroffen, die Pizzeria liefert auch zu Mittag hervorragende Speisen und einer von uns träumt bereits von einem ganz, ganz großen Turnier.
(Autor: Werner Lamberger)
PS von Manfred Theussl: Wie ihr euch vorstellen könnt, ist mir persönlich lieber, wenn Wernero verliert :-)
Zur Turnier-Webseite!